Montag, 2. Juli 2012

Zweiseitigkeiten im Juni


Jinotega, den 2. Juli

Zweiseitigkeiten im Juni

„Nachdem ich mich vor einigen Monaten vor lauter Schicksalhaftigkeit beinahe überschlagen habe, kann ich euch heute mal wieder  etwas mystisch Mysteriöses bieten, auch wenn es sich nur um den verqueren Bericht meiner Erlebnisse im letzten Monat handelt.
Eigentlich mache ich mir ja aus Spiritualität nicht viel, ob Vollmond oder wolkenverhangen, Jungfrau, Löwe oder Zwilling – ist mir alles einerlei. Auch ob du Kühe, Schweine oder eher Tauben heilig findest, oder vielleicht merkwürdige Sterne auf dem Boden zeichnest und Unverständliches rufst – kann mir alles gestohlen bleiben.                                                                                                                                                              Aber der Monat Juni, nichtwahr, da ist doch irgendwas im Gange... Allein die Junikinder, dass so viele Menschen eines Schlages im selben Monat geboren werden, was soll das?               Und jetzt sag mir nicht, das sei doch etwa eine genauso fragwürdige Behauptung wie die Aussage, Wassermänner seien finanziell gerade sehr erfolgreich aber besser vorsichtig im Berufsverkehr.                                                                                                                                       Ist dir das noch nicht aufgefallen? Überleg mal...                                                                                 Und wenn du jetzt nicht im Juni Geburtstag hast (  - was mit sehr leid tut), dann sei nicht traurig! Vielleicht kannst du ja eine bemerkenswerte Parallele zwischen dir und einem interessanten Mitmenschen feststellen und solange darüber scherzen, bis euch eine unterbewusste Seelenverwandschaft entspringt?                                                                                                                                            Dann am Anfang deines Monatsberichtes durch ausgiebiges Lamentieren eine Art Sicherheitskontrolle für die Integrität deiner Leserschaft einbauen, und dich freuen, falls einer auf den Mist hereinfällt? 

Und schon habe ich mir wieder alle Ernsthaftigkeit verspielt, meine ewige Ironie kann ganz schön nerven. Wenn man nicht mehr ernstgenommen wird, beziehungsweise in jede deiner Aussagen ein Scherz hineininterpretiert wird, muss man sich eben wieder auf trockene Tatsachenberichte  beschränken. Und doch wollte ich euch von der Zweiseitigkeit berichten...!  Ein Teufelskreis...

Begonnen hat alles, wie sollte es auch anders sein – mit dem ersten Juni. Nachdem ist seit beinahe 2 Dekaden an strahlenden Sonnenschein gewöhnt war, musste ich mich über infernale Regenfälle und allgemeine Geburtstagsmelancholie hinwegtrösten indem ich in die Fanfaren blasen ließ, und eine gewaltige Geburtstagsfeier erließ!                                                              Aus allen Teilen der Welt kamen die geladenen Gäste, führende Persönlichkeiten unserer Zeit, die drei heiligen Könige und Jesus höchstpersönlich erschienen mit mehr oder weniger erbaulichen Geschenken (Unterhosen, Myrrhe?).                                                                            Nicaraguanische Geburtagsmanieren wie die Piñata, das Eselschwanzankleben und das allseits beliebte Geburtstagskind-mit-Tape-einwickeln-und-vergewaltigen haben wir gekonnt ignoriert und stattdessen dem Alkohol-, was rede ich denn- dem Heiligen Gral das Feld überlassen.  Da ich mich, zumindest einmal im Leben, nicht lumpen lassen wollte, habe ich einen kleinen Palast gemietet – es sollte an nichts mangeln! Generell kann ich sagen: war gut, hätte jedoch besser auf Wertgegenstände achten sollen, und die komischen Leute gleich zu Anfang rauswerfen. Egal, heiliger Gral, Unsterblickeit.   

Politische Korrektheit war in diesem Blog ja schon immer rar, aber heute will ich echt kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn ich genervt bin, bin ich genervt.
Regieanweisung: Er erhebt sich, und zerreißt schwungvoll ein Blatt Papier. Was für ein Mann!        
Aber ich bin garnicht genervt, hier, guck, das Blatt ist auch garnicht zerrissen. Hier, siehste?

Damit wären wir auch schon an einem zentralen Punkt angekommen, eine wirklich große Frage, die ich im Folgenden zu formulieren mich zwingen werde:  
Idealist oder Realist? – Was ist hip?           
Gemeint ist folgendes: Die Grundeinstellung, mit der ich hier her kam, die ich von ganzem Herzen vertreten konnte war folgende: Sei nett und offen, meinetwegen auch etwas naiv – man wird schon nett zu dir sein. Daraus folgte, dass ich mit vielen Leuten jeglicher Art ins Gespräch kam, unzählige Zigaretten verschenkte, mich sicher und frei fühlte und dem Nicaraguaner eine Art Grundvertrauen entgegenbrachte. Bin ich nett, bist auch du nett. So sollte es sein, und so sehe ich den Idealisten.   
Und 10 einhalb Monate lang fuhr ich sehr gut mit dieser Einstellung, in Jinotega konnte ich mich auch nachts frei bewegen, ich lernte, wie gesagt, viele Leute von Wohlhabend bis Bettler kennen, redete mit allen und fühlte mich gut dabei. So weit, so gut, der denkende Leser wird die Pointe schon erahnen: Dann wurde ich ausgeraubt, und – was viel schlimmer ist – von meiner Idee enttäuscht.  
Von dem Überfall an sich erzähle ich hier nichts, ich wurde nicht verletzt. Nur bedroht und beraubt, leider von Personen, die ich kannte... zumindest hatten sie mein Vertrauen. 
Ich muss zu der ganzen Sache auch nochmal anmerken, was fuer ein naiver Ueber-Gringo ich doch bin - man muss schon auch mal wert auf realistische Tatsachen legen!
                                                                                             
Natürlich hatte man mich schon lange gewarnt, ich solle besser vorsichtig sein, mit wem ich so zu tun habe etc, - doch ich bereue nichts! Die meiste Zeit ist ja auch alles gut gegangen, ich kann mich eigentlich sogar glücklich schätzen, eine solche Erfahrung zu einem halbwegs akzeptablen Zeitpunkt gemacht zu haben. Ein Freund, dessen Namen ich zu seinem Schutz besser geheimhalte, er wurde bereits 4 mal beraubt. Nicht dass mein Denken gegenüber Fremden Personen jetzt einfach so in Misstrauen umgeschlagen wäre, aber gegen das ungute Gefühl das mich nun beschleicht, die Angst die ich manchmal spüre, die Vorsicht die daraus entspringt, kann ich nichts tun.                               
Du wirst jetzt sagen: „Na wird auch höchste Zeit, dass du mal erwachsen wirst, Vorsicht ist ganz normal“  – aber ich sage: Traurig, dass man Realist sein muss.
 
Aber ehe ich dir Worte in den Mund lege, - Was sagst du dazu? Welche Einstellung ist wohl die gesündere? 
 
Soviel also zu diesen Thema, was mich seit etwa Mitte Juni sehr beschäftigt, dem ich einigen Stress zu verdanken habe. Unter anderem musste ich zu einem Arbeitskollegen umziehen, weil meine alte Wohnsituation wohl nichtmehr sicher war. Jetzt wohne ich praktisch direkt bei meiner Arbeitsstelle, einen Vorteil hat die ganze Sache also... Meine alte Nicafamilie vermisse ich jedoch ziemlich... 
"Eine dicke Traene tropft auf der Blatt, er zieht ein gebluemtes Taschentuch und schnaeuzt heftig."

Ansonsten war der letzte Monat aber schön, deshalb rede ich ja von Zweiseitigkeit, ich lerne aus allem Guten wie Schlechten, alles Gute hat auch negative Aspekte und umgekehrt. Wer andern eine Bratwurst brät, bla bla bla.



Neben einigen Geburtstagen (die oft besungenen Junikinder), kleinerer Reisen und den gewöhnlichen wilden Sexparties war vorallem arbeitsmäßig einiges los: Den Weltkindertag haben wir in Kombination mit dem Weltumwelttag am See gefeiert, viele Grundschulklassen haben wir zu pädagogischen Aktivitäten, Spielen, einer Müllsammelaktion eingeladen, ich hatte einen Malwettbewerb ausgerufen und die Werbung (Plakate und T-Shirts) vorbereitet. Ziemlich schön das Ganze.                                                     
                                              
coole T-Shirts, hm?
                                                                 
Ende des Monats dann die nächste große Aktion, der 22. Geburtstag der Cuculmeca wurde im großen Stil hier in Jinotega gefeiert. Im Auf-und Abbau haben meine Fähigkeiten mit den Dual-Macheten große Erfole gefeiert. Aber die Fotos sagen wohl mehr als tausend (echt bescheuerte) Worte. / Bitte mach dir die Mühe, und zähl einmal nach, du wirst Augen machen.





Was ich noch sagen wollte: Die Fokussierung auf die baldige Rückkehr wird immer stärker, Abschiedsstimmung macht sich breit, viele Freunde sind schon bald nicht mehr hier und ich mache mir mehr und mehr Gedanken, was mich in Deutschland so erwartet. 

Der vorletzte Monat ist angebrochen, und ich lege einen Endspurt hin.  
Wie verträgt sich allerdings voller Einsatz mit vollem Genuss? Wir werden sehen. 
                                                                                  
Wir zwei, wir sehen uns vermutlich schon sehr bald, machs gut bis dahin!
Dein Marvin"





Korrekturgelesen: Habe scheinbar ein Talent entwickelt, zu schreiben und gleichzeitig viel und garnichts zu sagen.

1 Kommentar:

Kevin hat gesagt…

Auf deine Frage, ob man Realist oder Idealist sein sollte in dem Zusammenhang:
Probiers doch statt mit dem Bipol (Vgl Überschrift Zweiseitigkeit) mit einem Zwischending: Verschenk Liebe und Zigaretten (oder wie ich in meiner Piñata: Kondome), sei aber gleichzeitig misstrauisch.
Bei mir hats geklappt... wurde zwar nicht beklaut hab mein Handy dann aber einfach im Bus liegengelassen :)