Jinotega, den 2. Juli
Zweiseitigkeiten im
Juni
„Nachdem ich mich vor einigen Monaten vor lauter
Schicksalhaftigkeit beinahe überschlagen habe, kann ich euch heute mal wieder etwas mystisch
Mysteriöses bieten, auch wenn es sich nur um den verqueren Bericht meiner
Erlebnisse im letzten Monat handelt.
Eigentlich mache ich mir ja aus Spiritualität nicht viel, ob
Vollmond oder wolkenverhangen, Jungfrau, Löwe oder Zwilling – ist mir alles
einerlei. Auch ob du Kühe, Schweine oder eher Tauben heilig findest, oder
vielleicht merkwürdige Sterne auf dem Boden zeichnest und Unverständliches
rufst – kann mir alles gestohlen bleiben. Aber der Monat Juni, nichtwahr, da ist doch
irgendwas im Gange... Allein die Junikinder, dass so viele Menschen eines
Schlages im selben Monat geboren werden, was soll das? Und
jetzt sag mir nicht, das sei doch etwa eine genauso fragwürdige Behauptung wie
die Aussage, Wassermänner seien finanziell gerade sehr erfolgreich aber besser
vorsichtig im Berufsverkehr. Ist
dir das noch nicht aufgefallen? Überleg mal... Und wenn du jetzt nicht im Juni
Geburtstag hast ( - was mit sehr leid tut), dann sei nicht traurig! Vielleicht kannst
du ja eine bemerkenswerte Parallele zwischen dir und einem interessanten
Mitmenschen feststellen und solange darüber scherzen, bis euch eine unterbewusste Seelenverwandschaft entspringt?
Dann am Anfang deines
Monatsberichtes durch ausgiebiges
Lamentieren eine Art Sicherheitskontrolle für die Integrität deiner
Leserschaft einbauen, und dich freuen, falls einer auf den Mist hereinfällt?
Und schon habe ich mir wieder alle Ernsthaftigkeit
verspielt, meine ewige Ironie kann ganz schön nerven. Wenn man nicht mehr
ernstgenommen wird, beziehungsweise in jede deiner Aussagen ein Scherz
hineininterpretiert wird, muss man sich eben wieder auf trockene Tatsachenberichte beschränken. Und doch
wollte ich euch von der Zweiseitigkeit berichten...! Ein
Teufelskreis...
Begonnen hat alles, wie sollte es auch anders sein – mit dem
ersten Juni. Nachdem ist seit beinahe 2 Dekaden an strahlenden Sonnenschein
gewöhnt war, musste ich mich über infernale Regenfälle und allgemeine
Geburtstagsmelancholie hinwegtrösten indem ich in die Fanfaren blasen ließ, und
eine gewaltige Geburtstagsfeier erließ! Aus
allen Teilen der Welt kamen die geladenen Gäste, führende Persönlichkeiten
unserer Zeit, die drei heiligen Könige und Jesus höchstpersönlich erschienen
mit mehr oder weniger erbaulichen Geschenken (Unterhosen, Myrrhe?). Nicaraguanische
Geburtagsmanieren wie die Piñata,
das Eselschwanzankleben und das allseits beliebte
Geburtstagskind-mit-Tape-einwickeln-und-vergewaltigen haben wir gekonnt
ignoriert und stattdessen dem Alkohol-, was rede ich denn- dem Heiligen Gral das Feld überlassen. Da
ich mich, zumindest einmal im Leben, nicht lumpen lassen wollte, habe ich einen
kleinen Palast gemietet – es sollte an nichts mangeln! Generell kann ich sagen:
war gut, hätte jedoch besser auf Wertgegenstände achten sollen, und die
komischen Leute gleich zu Anfang rauswerfen. Egal, heiliger Gral, Unsterblickeit.
Politische
Korrektheit war in diesem Blog ja schon immer rar,
aber heute will ich echt kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn ich genervt bin,
bin ich genervt.
Regieanweisung: Er erhebt
sich, und zerreißt schwungvoll ein Blatt Papier. Was für ein Mann!
Aber ich bin garnicht genervt, hier,
guck, das Blatt ist auch garnicht zerrissen. Hier, siehste?
Damit wären wir auch schon an einem zentralen Punkt angekommen, eine
wirklich große Frage, die ich im Folgenden zu formulieren mich zwingen werde:
Idealist oder Realist? – Was ist
hip?
Gemeint ist folgendes:
Die Grundeinstellung, mit der ich hier her kam, die ich von ganzem Herzen
vertreten konnte war folgende: Sei nett und offen, meinetwegen auch etwas naiv –
man wird schon nett zu dir sein. Daraus folgte, dass ich mit vielen Leuten
jeglicher Art ins Gespräch kam, unzählige Zigaretten verschenkte, mich sicher
und frei fühlte und dem Nicaraguaner eine Art Grundvertrauen entgegenbrachte.
Bin ich nett, bist auch du nett. So sollte es sein, und so sehe
ich den Idealisten.
Und 10 einhalb Monate lang
fuhr ich sehr gut mit dieser Einstellung, in Jinotega konnte ich mich auch
nachts frei bewegen, ich lernte, wie gesagt, viele Leute von Wohlhabend bis
Bettler kennen, redete mit allen und fühlte mich gut dabei. So weit, so gut,
der denkende Leser wird die Pointe
schon erahnen: Dann wurde ich ausgeraubt, und – was viel schlimmer ist – von meiner Idee enttäuscht.
Von dem Überfall an sich erzähle ich hier nichts, ich wurde nicht
verletzt. Nur bedroht und beraubt, leider von Personen, die ich kannte... zumindest hatten sie mein Vertrauen.
Ich muss zu der ganzen Sache auch nochmal anmerken, was fuer ein naiver Ueber-Gringo ich doch bin - man muss schon auch mal wert auf realistische Tatsachen legen!
Ich muss zu der ganzen Sache auch nochmal anmerken, was fuer ein naiver Ueber-Gringo ich doch bin - man muss schon auch mal wert auf realistische Tatsachen legen!
Natürlich
hatte man mich schon lange gewarnt, ich solle besser vorsichtig sein, mit wem
ich so zu tun habe etc, - doch ich
bereue nichts! Die meiste Zeit ist ja auch alles gut gegangen, ich kann
mich eigentlich sogar glücklich schätzen, eine solche Erfahrung zu einem
halbwegs akzeptablen Zeitpunkt gemacht zu haben. Ein Freund, dessen Namen ich zu seinem Schutz besser geheimhalte, er wurde bereits 4 mal beraubt. Nicht dass mein Denken
gegenüber Fremden Personen jetzt einfach so in Misstrauen umgeschlagen wäre,
aber gegen das ungute Gefühl das mich nun beschleicht, die Angst die ich
manchmal spüre, die Vorsicht die daraus entspringt, kann ich nichts tun.
Du wirst
jetzt sagen: „Na wird auch höchste Zeit, dass du mal erwachsen wirst, Vorsicht
ist ganz normal“ – aber ich sage: Traurig, dass man Realist sein muss.
Aber ehe ich dir Worte in den Mund lege, - Was sagst du dazu? Welche Einstellung ist wohl die gesündere?
Soviel also zu diesen Thema, was mich seit etwa Mitte Juni sehr
beschäftigt, dem ich einigen Stress zu verdanken habe. Unter anderem musste ich
zu einem Arbeitskollegen umziehen, weil meine alte Wohnsituation wohl nichtmehr
sicher war. Jetzt wohne ich praktisch direkt bei meiner Arbeitsstelle, einen
Vorteil hat die ganze Sache also... Meine alte Nicafamilie vermisse ich jedoch ziemlich...
"Eine dicke Traene tropft auf der Blatt, er zieht ein gebluemtes Taschentuch und schnaeuzt heftig."
"Eine dicke Traene tropft auf der Blatt, er zieht ein gebluemtes Taschentuch und schnaeuzt heftig."
Ansonsten war der letzte Monat aber schön, deshalb rede ich ja von
Zweiseitigkeit, ich lerne aus allem Guten wie Schlechten, alles Gute hat auch
negative Aspekte und umgekehrt. Wer andern eine Bratwurst
brät, bla bla bla.
Neben einigen Geburtstagen (die
oft besungenen Junikinder), kleinerer Reisen und den gewöhnlichen
wilden Sexparties war vorallem arbeitsmäßig einiges los: Den Weltkindertag
haben wir in Kombination mit dem Weltumwelttag am See gefeiert, viele
Grundschulklassen haben wir zu pädagogischen Aktivitäten, Spielen, einer
Müllsammelaktion eingeladen, ich hatte einen Malwettbewerb ausgerufen und die
Werbung (Plakate und T-Shirts) vorbereitet. Ziemlich schön das Ganze.
coole T-Shirts, hm? |
Ende
des Monats dann die nächste große Aktion, der 22. Geburtstag der Cuculmeca
wurde im großen Stil hier in Jinotega gefeiert. Im Auf-und Abbau haben meine
Fähigkeiten mit den Dual-Macheten große Erfole gefeiert. Aber die Fotos sagen
wohl mehr als tausend (echt bescheuerte) Worte. / Bitte mach dir die Mühe, und
zähl einmal nach, du wirst Augen machen.
Was ich noch sagen wollte: Die Fokussierung auf die baldige Rückkehr
wird immer stärker, Abschiedsstimmung macht sich breit, viele Freunde sind
schon bald nicht mehr hier und ich mache mir mehr und mehr Gedanken, was mich
in Deutschland so erwartet.
Der
vorletzte Monat ist angebrochen, und ich lege einen Endspurt hin.
Wie verträgt sich allerdings voller Einsatz mit
vollem Genuss? Wir werden sehen.
Wir
zwei, wir sehen uns vermutlich schon sehr bald, machs gut bis dahin!
Dein Marvin"
Korrekturgelesen: Habe scheinbar ein Talent entwickelt, zu schreiben und gleichzeitig viel und garnichts zu sagen.
Korrekturgelesen: Habe scheinbar ein Talent entwickelt, zu schreiben und gleichzeitig viel und garnichts zu sagen.
1 Kommentar:
Auf deine Frage, ob man Realist oder Idealist sein sollte in dem Zusammenhang:
Probiers doch statt mit dem Bipol (Vgl Überschrift Zweiseitigkeit) mit einem Zwischending: Verschenk Liebe und Zigaretten (oder wie ich in meiner Piñata: Kondome), sei aber gleichzeitig misstrauisch.
Bei mir hats geklappt... wurde zwar nicht beklaut hab mein Handy dann aber einfach im Bus liegengelassen :)
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