Mittwoch, 7. September 2011

Monatsbericht Numero Uno

7.9.2011, Jinotega, mein Schreibtisch, während der Arbeitszeit

"Hey Leute, auch hierhin verfolge ich euch mit meinem Monatsbericht :


(...)
Ich frage mich, was die Leute überhaupt wissen wollen? Klar ist hoffentlich auch, dass ich Dinge für mich behalte, verzerrt darstelle, vielleicht sogar eine Unwahrheit niederschreibe? Dann ist ja gut. Besser für alle so.

Nach sicherlich einem halben Jahr Nicaragua-fokussierten Denkens wurde es mir zuletzt echt ein bisschen viel : Abschiednehmen, Zukunftswünsche und Ängste, auch Streitigkeiten machten aus mir nicht viel mehr als einen Menschen, der sich ganz gern nochmal umarmen lässt.
Gar nicht interessant ist wohl der Flug, begleitende Umstände wie Müdigkeit, Erkältung, Gedankenschwall, Sentimentalitäten, schlechtes Essen seien hier zusammengefasst.
Dann die Ankunft in Nicaragua, Managua nach knapp 30 Stunden auf den Beinen : Alle Gedanken, weggewischt von warmer Luft und einem freundlich winkenden Sasan.
Er und Manuel, so oft ich diese Namen erwähne, seien sie gepriesen!, waren unsere Vorfreiwilligen hier. Jetzt sind sie, nach einem Jahr, wieder zuhause, für mich liegt dieses eine Jahr noch vor mir.
Womit ich schon beim ergreifendsten Gedanken dieser Tage angekommen wäre: „Ein Jahr! Ein Jahr! 365 Tage! Unglaublich! Soviel Zeit, vermutlich doch so wenig. Was wird alles passieren? Was passiert alles zuhause? Wer werde ich, meine Freunde sein? Deutschland?“
So oder ähnlich flitzt es mir dann durch den Kopf, bis ich wieder aufhöre zu denken und anfange zu genießen. Denn das ist offensichtlich, was man hier tut. Klingt einschlägiger als es gemeint ist, aber zumindest für mich selbst gilt im Moment: Große Gedanken denke ich nicht, das praktische Leben an sich hat mich in seinem Bann. Und es geht mir gut so.
Jedenfalls...Christina, meine Mitfreiwillige und ich kamen in Jinotega an, besichtigten unser Zuhause der nächsten Wochen und schliefen ein. Wie erwartet währte unser Schlaf nicht lange, schon sehr früh erfüllt die Sonne Nicaragua mit Leben: Kühe, Pferde, Autos, Menschen wecken mich stets sehr zeitig. Der Tag dauert für mich von 6 Uhr morgens bis 10, 11 Uhr abends - Was ich übrigens durchaus angenehm finde, in der Heimat war ich stets erst gegen die Mittagsstund auf den Beinen, hatte weniger vom Tag. Aber mehr von der Nacht.
Die nächsten Tage verbrachten wir damit, unsere Arbeitsstelle, unsere Stadt, genannt Jinotega, und viele Leute kennenzulernen.
Von wegen Kulturschock oder Ähnlichem habe ich an dieser Stelle nicht zu berichten, die Stadt gefällt mir auf eigentümliche Weise: Laut und dreckig, durchaus ärmlich ist sie der erwartete Kontrast zu meiner Heimat. Also genau was ich wollte.
Vielleicht bin ich auch einfach schon ein bisschen gewöhnt an Länder wie dieses.
Woran ich nicht gewöhnt bin, ist die Freundlichkeit der Menschen, die mir trotz mangelhafter Spanischfertigkeiten zuteil wird. Oder vielleicht gerade aufgrund derer?
Klingt wie im schlechten Reiseführer, aber die schlichte Lebensfreude der Nicaraguaner haut mich echt um: Sei es, aus unserem Empfang eine Fiesta mit Tanz und Karaoke zu machen, oder während der Arbeit zu witzeln und lachen... in Deutschland läuft das anders.
In meiner Arbeitsstelle, in meinem Team wurde ich super aufgenommen. Meine Chefin María Theresa gibt sicher durchaus nicht als Chefin, eher als Freund - Ich will sagen, mit ihr hatte ich wirklich Glück : Sie ist sehr weltoffen, lustig, fürsorglich und spricht sogar Englisch!
Auch sehr gut verstehe ich mich mit Carmen, einer Spanierin die zusammen mit mir Englischunterricht gibt. Ja, Arbeitskollegen, Arbeitsabläufe stehen auch auf meiner Liste der zu dokumentierenden Dinge.
Diese wären: Montag und Dienstag in Matagalpa - Spanischschule – im Moment essentiell, um jegliche anderen Aktivitäten voranzutreiben. Mein Spanisch ganz zu Anfang, durchaus vorhanden, jedoch mit der hiesigen Sprechweise absolut überfordert. So beließ ich es meistens bei „Muy bien“, oder „Si, gracias“. Erst das Erlernen der Wortes „Tuani“ (Cool) konnte mich an anspruchsvollen Diskussionen teilnehmen lassen. Zumindest ist die Schule dort ziemlich gut, der Einzelunterricht macht sich bezahlt.
Mein Projekt nennt sich „Tourismo Sostenible“, es ist, und wird verstärkt meine Aufgabe sein, in kleinen Gemeinden auf dem Land Umwelterziehung und Englischunterricht zu geben, Touristenführer auszubilden - Attraktivität der Region für Touristen soll erhöht werden. Bis jetzt beschränkte sich meine Arbeit jedoch größtenteils darauf, mitzukommen, zuzusehen und selbst erst einmal zu lernen. Morgen gebe ich zum Beispiel zum erstem Mal alleine Englischunterricht. Demnächst werde ich auch für die Illustrationen eines Englischlernbuches zuständig sein. Gefällt mir.
Zwischendurch habe ich auch schon einige Landstriche Nicaraguas kennengelernt, gelbe Busse sind meine Führer. Und die Landschaft ist – wie erhofft, wie im Traum: Grün, saftig, üppig und mir vollkommen unbekannt.
Nachdem in Deutschland schon ein normaler Waldspaziergang reichte, um mich vor Naturliebe überschäumen zu lassen, krieg´ ich mich hier kaum noch ein: Cerro Apante, Lago Apanas, die Laguna Apoyo – wie im Bilderbuch. Noch warte ich auf Vulkane...
(...)
Nein im Ernst, was soll ich denn sagen, ist einfach schön hier – meistens schön warm, abends regnet es, gewittert es. Eigentlich sehr vergleichbar mit dem Wetter im deutschen Hochsommer. Stellt euch also den schönsten Sommertag vor, kombiniert ihn mit wunderschöner Landschaft und akzeptablem Essen, und ihr werdet feststellen – diese Umstände allein bringen jeden Menschen dem Glück ein Stück näher.
In diesem Sinne, glücklich, mir Euch,- neidesgrün, mit Mütze und Winterjacke bekleidet - vorstellen zu können, betone ich nochmal : Es geht mir gut. Physisch, Psychisch, alles Roger. Nur eines, … ich vermisse euch! Euer Marvin"

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"Laut und dreckig... Also genau was ich wollte." :D

Verschwörung37 hat gesagt…

Wir wollen alles wissen Marvin - alles. Nur so können wir die notwendigen Vorbereitungen treffen...