Mittwoch, 19. Oktober 2011

Relativitätstheorie

Jinotega, den 19.10.2011


„Mehr als zwei Monate bin ich nun schon hier, in Nicaragua. In Jinotega, einer überschaubaren Stadt im Norden des Landes. 50000 Einwohner. „Stadt der Nebel“ wurde sie früher von einheimischen Dichtern genannt – ein sehr treffender Beiname, wie sich in der letzten Zeit herausgestellt hat. Nebel, eher eigentlich Wolken hüllen die umrandenden Berge in einen Hauch von „Nichts“, dem Ende der Welt. Das Ende der Welt grenzt an allen Richtungen an die Stadt, die sich die Hänge zu Eigen macht, soweit es geht. Durchaus behütet liegt die Stadt also da, ich sitze mittendrin und sehe aus dem Fenster. Noch gibt es nämlich einiges zu sehen, eine Parade kriecht vor meinem Haus durch die Straßen, die Musik der Kapellen schwillt immer wieder an und ab, zwischen den Wagen spielen unaufhörlich Kinder. Ich sagte „Noch...“, da sich in 2 Stunden die Nacht ebenso plötzlich wie schwarz über Jinotega legen wird, wenn die Sonne hinter den Bergen verschwindet und scheinbar jedes Kriechen, lustige Treiben und auch die Musik mit sich nimmt. Dann bleibt jedoch immer noch meine Person, die gelegentlich sehnsüchtig aus dem Fenster sieht.

Paraden werden niemals langweilig


Verehrter Leser, ich hoffe sie sehen; ich bin zuweilen zwiegespalten was meine neue Heimat angeht. Die Atmosphäre des Tales, sofern mit Worten wieder zu geben – gefällt mir ganz ausgezeichnet. Nur, Nun ja, ich könnte gerne ein wenig mehr Abwechslung gebrauchen. Es gibt hier, soweit ich festgestellt habe lediglich einen Billiardsalon, keine Kneipe oder Diskothek. Einstweilen mache ich mich immer auf, in andere, lebhaftere Städte wie Matagalpa oder gleich Managua – um mein junges Leben auszukosten. Jep.
Nach und nach treffe ich immer mehr Menschen, die meine Vorlieben, Interessen teilen. Sowohl unterschiedliche Kultur, als auch sich überschneidende Kultur ist starkes Bindeglied – wie sehr freue ich mich darüber, von Jemandem über nicaraguanische Kunst informiert zu werden, genauso wie zu erfahren, dass man dieselbe Funkband liebt! (Cymande!)
Solche Begebenheiten ereignen sich immer sehr unerwartet und können mich noch tagelang froh machen. Ich meine den Duft der Freundschaft.

Moíses führt mich durch die Flut

Drei Tage lang war ich auf einer Finca in einem nahegelegenen Reservat, um endlich mit dem Kartographieprojekt anzufangen. Ziel ist es, Karten mit Wanderwegen für Touristen zu erstellen – dazu müssen freilich zuerst die Wege von mir mit dem Fahrrad abgefahren und per GPS festgehalten werden. Klingt total spaßig, oder? Der Haken war leider das Wetter, sodass ich meinen Aufenthalt heute krankheitsbedingt abbrechen musste. Der fiese Hurrican, der wohl weiter nördlich sein Unwesen treibt, beschert auch hier in Nicaragua kalte Temperaturen und, wie gesagt – Regen.
Kalt ist hier relativ, ich wundere mich jedes Mal, wenn man mir die Temperatur sagt. 22, 20 Grad – und ich friere mich kaputt?
Ist schon merkwürdig, der Mensch. 7 Tage lang gewöhnt sich sein Körper an ein neues Klima, dann ist alles beim Alten. Und trotzdem sieht er alles in Relation, zu vorigen und zukünftigen Zuständen seines Glückes und seiner Gesundheit. Aber ich rede hier vom „Menschen“ allgemein, das ist wohl falsch - durchaus gibt es Menschen, kenne ich Menschen, die einen Zustand dauerhafter Befriedigung, unter Hinnahme der Veränderungen, vorweisen können. Ein kleiner Schritt in diese Richtung soll mein Aufenthalt hier sein, gerade in dieser Hinsicht kann ich von den Menschen hier so viel lernen. 

Roco el Loco

Auf der Finca habe ich den Arbeitsalltag hart arbeitender Nicas miterlebt: Von halb 6 Uhr morgens bis zur Dämmerung auf Plantagen oder im Wald arbeiten, sich danach mit Tee und Scherz entspannen, Tag für Tag. Ich möchte nicht meinen, sie seien glücklicher oder zufriedener als ich – doch sie sind weniger anspruchsvoll und erfüllt von ihrer Tätigkeit. Wie viele Menschen in Deutschland könnten schon von sich behaupten, durch ihre Arbeit erfüllt zu sein? Ich bin fest davon überzeugt, das naturverbundene, körperliche Arbeit stark zu einer ausgeglichenen und zufriedenen Lebensweise beitragen kann. Die Finca „El Jaguar“ jedenfalls, mitsamt ihren Arbeitern, Freunden und der Natur wird mir im Gedächtnis bleiben, mein nächster Besuch erfolgt bestimmt. PEACE“


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